Gleisgeometrie

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Gleisgeometrie ist der Oberbegriff für das Zusammenspiel aller Längen, Radien und Winkel in einem Gleissystem. Mit der Gleisgeometrie sind also bestimmte Maße vorgegeben, wenn alle Gleise immer passgenau aneinander gefügt werden.

Für den Modellbahnbau ist das von Anbeginn eine notwendige Voraussetzung. Schließlich sollten die ersten Bahnen bzw. deren Gleise sich zu einem Oval oder Kreis fügen. Damit war eine Sytematisierung unausweichlich. (Deshalb wird im folgenden der Begriff "Systemgleis" häufiger auftauchen.Damit ist in diesem Zusammenhang ein Gleisstück gemeint, das mit fester Abmessung und ggf. bestimmtem Radius hergestellt wird, im Gegensatz zum Flexgleis.)

Deshalb sind unsere MoBa-Gleise 180 mm lang!

Inhaltsverzeichnis

Geometrische Grundlagen

Da ein voller Kreis in der klassischen Geometrie in 360° geteilt ist, lag es nahe, für einzelne Bogengleise einen Bogenausschnitt zu wählen, der als ganzzahliger Quotient von 360 daherkommt. Viele Serien-Gleise haben deshalb Bögen von 30° oder 45° im Standardsortiment. Anfangs waren auch die Weichenbögen in dieses Raster eingeteilt, der Bogen einer Weiche entsprach also genau in seinem Grundriss dem gebogenen Geisstück. Der Bogen von 30° hat (für die Konstrukteure) einen weiteren Vorteil. Wer in Trigonometrie aufgepassst hat, erinnert sich vielleicht noch an

wenn α = 30 °, dann sin (α) = 0,5

woraus sich ergibt, dass der Platz, den ein 30-°-Gleisstück in der Länge benötigt genau dem halben Radius enstpricht. (Skizze). So lag es also ebenfalls nahe, die geraden Gleise mit der Standardlänge = 1/2 r herzustellen.

Hinweis für Geometrie-Fans: Der seitliche Versatz, den ein Bogen macht, entspricht natürlich genau der Differenz von Radius und Cosinus. Man könnte schreiben

Δ α seitlich = r - cos(α)• r

Wer kein Gleisplan-Handdbuch greifbar hat, kann den Parallelgleis-Abstand Δ|| mit Weichenverbindung leicht selbst errechnen. r sei der Radius des Weichenbogens, α der Abzweigwinkel. Aus oben gesagtem (seitlicher Versatz) egibt sich bei Verwendung zweier baugleicher Weichen

Δ|| = 2 • r - cos (α) • 2 • r

Auf jeden Fall, also nicht nur bei Märklin, sind die Gleisgeometrien nach solchen Kriterien entworfen worden. Wie an anderer Stelle dargelegt, ist der sogenannte "Radius 1" in H0 ein Kompromiss der Hersteller. In fast allen Gleissystemen aller H0-Hersteller gibt es einen Radius um die 360 mm. Klein genug, um auf einem Tisch Platz zu finden; groß genug, um Reisezugwagen nicht sofort aus den Schienen springen zu lassen.

Weiterentwicklung der Grundgeometrie

Irgendwann kam man natürlich auf den Gedanken, dass ein paar Zwischengrößen das starre Raster etwas auflockern könnten. So kam Märklin bald mit halben und Viertel-Kurven auf den Markt, also Bögen von 15° bzw. 7° 30'. Spezialisten fragen sich jetzt natürlich, wie eine so krumme Zahl wie 24° 17' da hineinpasst. Denn das war der Abzweigwinkel der Märklin-M-Gleis-Weichen 5202 und Consorten. Das ist wieder der Sinus! Berechne ich den Längenbedarf des Weichenbogens, der im Radius 2 (437,4 mm) ausgeführt ist, kommen - 180 mm heraus. (OK, es sind "nur" 179,88, aber die 12 Hundertstel hat das Märklin M-Gleis immer verziehen.) Damit passt der 24°nochwas-Bogen genau in das 180er-Längenraster, das früher praktisch allen Weichen zu Grunde lag. Außerdem ist der Winkel von 24° 17' derart, dass er einen Parallelgleisabstand von 77 mm erzeugt, und das ist nunmal (rund gerechnet) der Abstand von Radius 1 (360 mm) zu Radius 2 (437,4 mm) bei den Märklin-M-Gleisen.

Mit der Zeit stiegen die Ansprüche. Die meisten beim Vorbild zu sehenden Gleiskombinationen konnten mit Modellgleisen nachgebaut werden, Die Hersteller entwarfen passende Gleisstücke, und wenn diese sich dann partout nicht in die bestehende Geometrie einfügen wollten, wurden noch zusätzlich passende Ausgleichstücke fabriziert.

In der Länge verkürzte Kleinbahn Wagen auf Märklin M-Gleisen

Ein Umbruch grundliegender Art war dann das Lägenwachstum. Weite Bögen waren gefragt. Schon in den 1970ern kam Märklin im K-Gleis-System neben "Normalkreis I und II" mit dem "Großkreis I und II". 553,9 und 618,6 mm waren schon ein Schritt, der verringerte Gleismittenabstand von nur noch 64,6 mm ein zweiter. Und, natürlich, das Flexgleis. Damit wurden super-weite Bögen endlich realisierbar. Jeder, der es mal sah, weiß: Es ist ein Unterschied, ob ein Zug gleichmäßig durch eine weite Kurve schnürt, oder auf einer abwechselnden Anordnung von Geraden und Kurven einen "Zick-Zack-Tanz" vollführt.

Weite Bögen! Freizügige Planung, raus aus der strengen Geometrie! Schauen wir mal genau. Der o. erwähnte Parallelgleis-Abstand von 77 mm stammt aus den Kindertagen der Modellbahn, da war sie noch ein Spielzeug. Der Abstand war einfach technisch notwendig, damit "lange Wagen" (in einer Zeit, da "lang" ungefähr 24 cm bedeutete) sich in den engen Kurven im Gegenverkehr nicht berührten. Heute sind Reisezugwagen auf dem Markt, die tatsächlich im Längenmaßstab 1:87 gebaut wurden, somit sind die 26,5 Meter des Vorbildes in H0 auf stolze 30,4 cm gewachsen. So ein Wagen auf R1 oder R2? Seien wir ehrlich, das ist lächerlich.

Und man hatte offenbar entdeckt, dass vele Modellbahner die "brutalen" Abzweigwinkel von 30° nicht mehr klaglos akzeptierten, ja, auch die genialen 24°17' wurden abgelehnt! "Wir wollen schlanke Weichen" skandierten Massen aufgebrachter Modellbahner vor den Toren der Hersteller. Winkie.png.

So kamen die "schlanken Weichen". Abzweigwinkel von 14°26'! Bewegliches Herzstück! Richtige Schnellfahrweichen sind das! Das bereichert das ICE-Zeitalter. Auch ging der Trend der Modellbahner an anderen Stellen zu mehr Vorbildnähe. Ganz nebenbei schrumpfte der Parallel-Abstand bei Einbau dieser Weichen weiter zusammen auf 57 mm. Damit sind wir beim nächsten Thema:

Umgehung der geometrischen Vorgaben

Wie gerade dargelegt, ist das "Strecken" einer Kurve aus System-Gleisstücken mit Geraden keine ernstzunehmende Option. Auch die Verlegung von "Korb-Bögen" gelingt mit System-Material nur unzureichend. Der Korb-Bogen beginnt mit einer schwachen Krümmung, die dann zunimmt. So werden im Großbetreib Kurvenanfänge gestaltet. Auch hier ist uns das Flexgleis Mittel zum Zweck. Der Nachteil bei im Bogen verlegten Flexgleisen ist, dass man sie am Ende sehr genau anpassen muss, um die Strecke mit System-Stücken fortzusetzen.

Stellen wir uns einen mehrgleisigen Bahnhof vor, dessen Gleise NICHT schurgerade und parallel sind. Dem Planer hat es gefallen, die Gleise in kühnem Bogen zu verlegen. Auch sind die Bahnsteigkanten natürlich der Rundung angepasst, dem Verlauf der Schienen folgend. Aber die Weichenstraßen an den Enden sind nicht Flex. Für solche Anordnung hat sich folgende Methode bewährt: der Zwischenraum zwischen Weiche und Ende des Flexgleises wird mit einem Standard-Gleisstück gefüllt, das etwas länger als notwendig ist. Genau markieren und abtrennnen. Die Verbindung zum Flexgleis wid, wenn nötig, mit Schienenvebindern hergestellt. Praktischerweise baut man solche Übergänge dort ein, wo ohnehin eine Stromkreistrennung vorgesehen ist (z. B. Ende Signalabschnitt Ausfahrsignal). Damit ist die Isolierung schon eingebaut, man erspart sich eine zusätzliche Einspeisung.

Anderes Beispiel: Eine kurvenreiche Nebenstrecke gelangt an einen Strang der Hauptbahn und soll mittels Weiche verbunden werden. Denken wir mal an Märlin C-Gleis mit den mechanischen und elektrischen Kupplungen. Es findet sich jetzt partout kein Stück im Katalog, das genau die benötigte Länge hätte. Hier kann der Griff zur Säge ein Ausweg sein. Von einem System-Gleis werden beide Enden abgesägt, so dass diese zusammen die benötigte Länge ergeben. Mit Hartkleber, Heiß-Kleber oder 2-K-Klebstoff werden die Enden wieder aneinandergesetzt (nötigenfalls eine Beilage in den Gleiskörper einkleben). Die elektrische Verbindung wird mittels zweier eingelöteter Kabelstückchen sichergestellt. Fertig ist ein individuelles Ausgleichstück.

Zum Wechsel von einem System zum anderen bieten die Hersteller "Übergangs-Gleise" an. So wollte Märklin die Kompatibilität zwischen M-, K- und C-Gleis gewährleisten. Leider sind die "Ü-Gleise" meist eine gerade Standardlänge, also 180 mm. Und die lässt sich bisweilen nicht mit dem Gleisplan vereinen. (Zur Erläuterung: auf einer Anlage, an der ich baue, sind die sichtbaren Strecken in Märklin-K-Flexgleis, der Schattenbahnhof und anderes jedoch in Märklin-C ausgeführt.) Wir probierten folgendes: Die K-Gleise sollten sowieso eine Unterlage bekommen, die später den Schotterkörper darstellt. Hierfür nahmen wir 5-mm-Trittschalldämmmung aus Styrodur. Es ergab sich, dass das unterfütterte K-Gleis praktisch schienenoberkanten-bündig mit dem C-Gleis ist. Also passten wir die Gleisenden exakt an, die Kupplungen vom C-Gleis wurden abgetrennt und beide Gleise sorgfältig auf dem Untergrund verschraubt. Gelegentlich war ein Papier-oder Pappestreifchen als Höhenkorrektur nötig. Der verbliebene Spalt zwischen den Schienensträngen ist nicht größer als der, den man bei Systemgleisen auch ab und zu hat. Und durch die exakte Ausrichtung ist uns an diesen Stellen noch nie ein Zug entgleist.

Beispiel aus der Praxis

Aus der Verwendung der "normalen" und der "schlanken" Weichen bei Märklin K ergibt sich der gezeigte Gleismittenabstand.

Als hätte ichs geahnt! Gerade "whatsappt" ein Kamerad vom Stammtisch in die Runde: "Wie verringert man den Gleisabstand beim K-Gleis von 64,6 auf 57 mm? Ich sitze seit zwei Stunden an Wintrack und kriege es nicht hin!"

Mit meinen aufgefrischten Trigonometrie-Kenntnissen schreibt sich das so:

Gesucht wird ein seitlicher Versatz von (64,6 - 57 =) 7,6 mm. Ermitteln Sie benötigten Gleisstücke (Systemgleise).

Zu verwenden sind

  1. je Gleis zwei gleiche Bogenstücke und ein entsprechendes gerades Stück
  2. in einem Gleis zwei gleiche Bogenstücke und entsprechende Gerade, das Parallelgleis ist mit Geraden zu verlängern.

Zulässiger Toleranzbreich 1 mm.

Kürzestmögliche Variante, ergibt aber zwei unschöne "Schlenker".

Lösung 1: Werden beide Gleise verschwenkt, muss je Gleis der halbe Betrag von 7,6 mm eingebaut werden, also je 3,8 mm. Der kleinstmögliche Bogen im System hat bei Radius 424,6 mm einen Winkel von 3,5°. Aus der Formel

Δα seitlich = r - cos(α) • r

errechnet sich je Bogengleis ein Versatz von 0,8 mm.

3,8 - (2 • 0,8) = 2,2 .

Der Versatz durch das gerade Stück muss also noch 2,2 mm betragen. Bei schräg liegendem geraden Gleis G ist der Versatz

Δα seitlich = sin(α) • LängeG

In diesem Fall umgestellt zu

2,2 ÷ sin(3,5) = 36 .

Das Gleisstück 2208 mit einer Länge von 35,1 mm sollte hinreichend genau passen.

Etwas länger als oben, ein Gleis bleibt gerade.

Lösung 2: Beginn wie oben, aber der Versatz durch das gerade Stück muss nun 7,6 - (2 • 0,8) = 6 mm betragen.

6,0 ÷ sin(3,5) = 98,3

Die Kombination 2202 + 2203 + 2204 ergibt: 45 + 30 + 22,5 = 97,5 mm, liegt also im erlaubten Toleranzbereich. Die Lücke im geradeaus geführten Gegengleis errechnet sich analog zu den Eingangs erwähnten Rechenwegen. Da die Betrachtung aber nun von der Seite (= um 90° gedreht) erfolgt, ist bei den Bögen der sin, multipliziert mit r zu berechen. Die Querausdehnung es geraden Stückes entspricht dem cos mal 97,5.

(2 • (424,6 • sin(3,5))) + (cos(3,5) • 97,5) = 149,2 mm .

Die Kombination 2201 + 2 x 2203 ergibt 90 + 30 + 30 = 150 mm. Q. e. d.

Abschließender Kommentar: Kann man machen. Eleganter wäre es allemal, den "Verschwenkbereich" zu strecken und mit passenden Flexgleis-Abschnitten zu bauen. Der zweimalige "Ruck" den die Züge kurz hintereinander erleben, einmal links, einmal rechts, sieht vermutlich nicht schön aus, auch wenn es nur je 3,5° sind.

Persönliche Schlussbemerkung

von Micha

Mir ist völlig bewusst, dass der Artikel bis hierher sehr "Märklin-lastig" ist. Das ist nunmal von Kind an meine "Hausmarke" gewesen, da habe ich Gleisplanbücher und alte Kataloge zur Hand, aus denen ich Fakten für diesen Artikel, insbesondere Maße und Winkel, zusammengesucht habe. Und meine Erfahrungen fußen ebenfalls in weiten Teilen auf Märklin-Material. Ich weiß aber sicher, dass sich vieles von oben gesagtem auf Gleissysteme anderer Hersteller und Baugrößen übertragen lässt. Ich würde mich freuen, wenn der eine oder andere hier seine Erfahrungen mit der "Gleisgeometrie" einbringt,vor allem natürlich die Episoden, wo die Geometrie der Hersteller überlistet wurde.

Siehe auch

Gleisradien der verschiedenen Hersteller und Nenngrößen in der Übersicht